Im Zwiegespräch mit echten Philosophen und Psychologen – Und Nietzsche weinte

Im Zwiegespräch mit echten Philosophen und Psychologen – Und Nietzsche weinte

Das Wien des Fin de siècle: Die selbstbewusste junge Russin Lou Andreas Salomé drängt den angesehenen Arzt Josef Breuer, dem suizidgefährdeten Friedrich Nietzsche zu helfen und ihn von seiner zerstörerischen Obsession für sie zu kurieren. Breuer willigt ein und unterzieht Nietzsche einer neuartigen Heilungsmethode, deren Ausgang jedoch für beide unerwartet ist.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Frohlocken, dass das Buch beendet ist
  2. Traurig sein, dass das Buch beendet ist
  3. Sehr froh sein, dass ich es gelesen habe

Mein Eindruck zu “Und Nietzsche weinte”:

Der Titel „Und Nietzsche weinte* ist toll. Erstens schreit bei dem Philosophen erst mal jeder JA (Wer mag bitte Nietzsche nicht?) und dann auch noch diese Menschlichkeit, diese Zärtlichkeit, in der er gezeigt wird. Es ist schon eine Weile her, dass ich das Buch zum ersten Mal las, doch bestimmt wurde ich wegen des Titels auf das Buch aufmerksam.

Stärken des Buchs:

Das Buch verwebt Fakten und Fiktion. Während sich die zwei Hauptpersonen Breuer und Nietzsche im wahren Leben nie trafen, sind die anderen Hintergründe wahr. Dieses Was-wäre-wenn ist ein Wunderwerk für jeden Philosophie- und Psychologie-Begeisterten. Beide Figuren treffen aufeinander und ein Fest der Gehirne entsteht. Jetzt, beim zweiten Lesen, markierte ich mir einige Stellen, dessen Wucht mich umgehauen haben. Diese Lebensweisheiten bleiben hoffentlich für immer in meiner Erinnerung, zum Beispiel: „Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen.” Oder: „Noch etwas habe ich gelernt […], dass wir leben müssen, als seien wir frei. […] Wir müssen unser Schicksal wollen.” Wer sich für fantastische Gespräche interessiert, die den Geist anregen, sollte dieses Buch lesen. Es beinhaltet so viel Intellekt, dass man gar nicht jeden klugen Gedanken bei einem Lesegang alleine erfassen kann.

Dazu kommt natürlich, dass viele anregende Personen der Vergangenheit, über die man nur noch beschränkt etwas in Erfahrung bringen kann, so echt werden, als könne man sie anfasse. Siegmund Freud in jungen Jahren, Lou Andreas-Salomé, Richard Wagner, Paul Reé … Man hört auf, sie als ausschließlich tote Intellektuelle zu betrachten. Plötzlich werden sie Menschen. Mit Ansichten und Gefühlen, mit Fehlern und Lieblingsspeisen. So richtig echt eben.

Der Weg zum eigenen Ich

Im Buch therapieren sich Breuer und Nietzsche gegenseitig. Was der Leser nicht merkt: Auch er bekommt sein Fett weg. Man kann das Werk nicht lesen, ohne sich selbst näher zu kommen. Ohne sich selbst zu trauen, die eigenen Mauern einzureißen und der zu werden, der man ist. Wie Nietzsche es so hartnäckig die ganze Zeit über verlangt.

Spannend ist auch die Zeit, in der das Buch spielt, Ende des 19. Jahrhunderts. Für Männer ist es nicht normal, sich auszusprechen, ehrlich mit ihren Gefühlen umzugehen oder gar Vertraute zu haben. Vor allem nicht über Erotik oder Triebe zu sprechen! Diese Verschlossenheit, diese Scham führt zu viel unterdrückte Pein. Und da gibt es natürlich noch die Frage, inwieweit sich das denn heute geändert hat. Gehen wir – besonders Männer – wirklich so viel offener mit unseren wahren Gedanken um?

Und Nietzsche weinte, Foto: Magret Kindermann
Und Nietzsche weinte, Foto: Magret Kindermann

Schwächen des Buchs:

„Und Nietzsche weinte” ist aus Breuers Sicht geschrieben und vor allem in der Mitte des Buches wird er mir wahnsinnig unsympathisch. Er ist so unfähig, so stur und bockig. Das macht mich wahnsinnig. Zum Schluss versteht man diese Erzählweise des Autors, denn sie muss sein. Dennoch führt sie dazu, dass man das Buch streckenweise nicht gerne zur Hand nimmt.

Dazu gehört, dass es anstrengend ist. Es ist kein lockerflocker-Buch, das dir heimlich ein bisschen Grips einprügelt. Alles daran trieft vor Intelligenz und du musst dafür arbeiten. Die Sätze sind schon literarisch und verständlich, einfache Sprache ist allerdings kein Standard für Yalom. Er liebt Gedankenstriche und Semikolons, dazu jede Art von Hervorhebung, sei es in kursiv, mit einfachen Anführungsstrichen oder auch mal ganz wild durcheinander. Dazu kommt, dass das Lektorat überkorrekt ist. Nach einem Gedankenstrich kommt etwa gerne noch ein Komma. Substantive werden manchmal klein geschrieben, was mich mehr als irritierte … Eventuell ist das aber auch meiner alten Ausgabe von 2002 geschuldet. Immerhin war das aber schon die fünfte Auflage und da hätte ich mehr vom Verlag Piper erwartet.

Nun bin ich aber abgeschweift. Was ich sagen wollte: Das Buch ist keine leichte Lektüre. Zwischendurch will man unbedingt, dass es endlich rum ist, weil man sich so quält.

Mein Fazit:

Trotz der Quälerei zwischendurch liebe ich “Und Nietzsche weinte*, weil es mich so sehr bereichert. Ich habe es schon vielen Freunden empfohlen, die es ebenfalls alle verschlangen. Und dann ist da natürlich auch die Frage: Darf das Buch überhaupt weniger anspruchsvoll geschrieben sein? Ich meine, es spielt in Wien im Jahr 1882 und handelt von den größten Gehirnen der Zeit. Alles andere wäre doch ein Witz. Und ein wenig Konzentration darf man vom Leser auch verlangen. Oder?


Dir gefällt diese Rezension von Magret? Hier findest du mehr davon!



Und Nietzsche weinte

Irvin D. Yalom

Gegenwartsliteratur
Softcover, 448 Seiten
erschienen bei btb
04. Februar 2008
ISBN 978-3-442737284

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3 Replies to “Im Zwiegespräch mit echten Philosophen und Psychologen – Und Nietzsche weinte”

  1. Was für ein Cover! Und so ein toller Titel! Ich lese gerne. Romanbiographien. Interessant finde ich hier auch die Perspektive durch einen unsympathischen Menschen. Du warst etwas genervt, doch vielleicht bekommt die Geschichte dadurch nochmal mehr Authentizität.
    Danke für den Tipp.
    Silvia
    #litnetzwerk

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