Das neue Mindset – Raus aus der Glücksfalle

Das neue Mindset – Raus aus der Glücksfalle

Ich möchte euch die Akzeptanz- und Commitment-Therapie vorstellen. Nicht nur, weil ich Autorin und somit laut Klischee automatisch therapiebedürftig bin, sondern vor allem, weil “Raus aus der Glücksfalle” all die Tipps für diejenigen enthält, die selbstständig arbeiten. Als Unternehmer*in bist du mit Coaches, Beratern und Speakern konfrontiert, die dich motivieren. Persönliche Entwicklung ist enorm wichtig, aber es gibt da etwas, das mir seit Ewigkeiten auf den Keks geht: Positive Affirmationen. Nur das Gute sehen. Positive Einstellungen. Gute Gefühle verstärken. “Ich bin Superman” vor dem Spiegel brüllen und jeden Tag als Fest entgegennehmen.

Schwachsinn, sagt Russ Harris in “Raus aus der Glücksfalle”. Wir brauchen unsere negativen Gefühle, wir müssen nur lernen, damit umzugehen. In diesem Ratgeber geht es ums richtige Fühlen und Denken, um Ziele und Werte, und vor allem um Selbstliebe.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Mich bestätigt gefühlt
  2. Aus der Bahn gestiegen
  3. Im Hafven zum Erstkontakt angekommen.

Mein Eindruck zu Raus aus der Glücksfalle:

Raus aus der Glücksfalle* dreht sich um die Akzeptanz- und Commitment-Therapie:

“[Die Therapie] basiert auf zwei Kernprinzipien: “Achtsamkeit” und “Wertorientierung”. Gemeinsam helfen sie Ihnen,  schmerzliche Gedanken und Gefühle effektiv in den Griff zu bekommen [und] ein reiches, erfülltes und sinnvolles Leben zu führen.”, Seite 44

Es ist viel wichtiger, seine Werte zu kennen, als seine Ziele zu definieren und ihnen hinterherzurennen. Wer sich auf den Gipfel des Berges fokussiert, merkt den Weg nicht, und schwuppdiwupp sind wir 80 Jahre alt und haben vielleicht unser Haus am Strand, aber das Leben eigentlich nicht wirklich gelebt. “Raus aus der Glücksfalle” bestätigt mich in jedem Mecker-Thema, das ich der Szene rund um persönliche Entwicklung vorwerfen möchte und gibt zahlreiche wertvolle und für den Lebensgenuss wichtige Hilfestellungen, Erklärungen und Übungen.

Stärken des Buchs:

Die Strategie, wie wir mit negativen Gefühlen umgehen sollen, ist nichts anderes als reine Achtsamkeit. Die Zukunft existiert nicht, sie ist ein Konstrukt aus Vorstellungen und Gedanken. Die Vergangenheit existiert ebenfalls nicht, sie ist nichts als Erinnerungen und Emotionen. Wir sollen uns mit der Umgebung verbinden, den Körper wahrnehmen, uns auf den eigenen Atem fokussieren und einfach mal nur die Geräusche wahrnehmen. Der Fokus liegt hier auf der Wahrnehmung.

Gerade in Zeiten des Internets (also gestern, heute und morgen) urteilen wir enorm schnell. Ich finde es stark, dass dieses Buch in die andere Richtung lenken möchte: Wahrnehmen statt urteilen, zulassen statt flüchten oder kämpfen, und vor allen Dingen flexibel bleiben.

Ich finde es gut, sich Ziele zu setzen, aktuell habe ich im unternehmerischen Bereich kein eigenes Ziel (wobei, wenn diese Rezension veröffentlicht wird, ist bestimmt eines da, aktuell haben wir Anfang Augsut, liebe Grüße von Vergangenheitskia). Noch besser ist es aber, sich Werte als Grundlage zu nehmen und anhand derer die Ziele auszurichten. Ein Ziel schlägt fehl, und wir sind plötzlich keine Versager, sondern Umdenker.

Ein Beispiel: Will ich Ballettänzerin werden und gerate durch einen Unfall in den Rollstuhl, ist der große Traum geplatzt und die Depression steht vor der Tür. Will ich aber einen Wert, etwa Fitness, Bühnenpräsens oder Musikliebe und Tanz leben, muss es nicht die Ballerina sein. All die Werte kann man auch als Rollifahrer*in bedienen, und schon hat man ein Mindset, mit dem ein erfülltes und glückliches Leben möglich ist.

All das bringt Russ Harris in seinem Buch gut rüber. Leider nicht überragend – aber darauf gehe ich in der Sektion über die Schwächen von diesem Umdenk-Buch in Bildern ein.

Cover von Raus aus der Glücksfalle. Foto: Kia Kahawa
Cover von Raus aus der Glücksfalle. Foto: Kia Kahawa

Aktionspläne setzen

Gesundheit, Freizeit, Arbeit und Beziehungen sind die vier Bereiche, in denen wir arbeiten. Der absolute Kernpunkt dieses Buches ist, obgleich es viele Übungen und Themenbereiche gibt, wegen derer es sich lohnt, das gesamte Buch selbst zu kaufen und zu lesen, das Thema Aktionspläne. Viel zu selten tun wir das nämlich richtig:

“Schritt 1: Die eigenen Werte zusammenfassen
[…]

Schritt 2: Sich ein unmittelbar zu erreichendes Ziel setzen
[…]

Schritt 3: Sich kurzfristige Ziele setzen
[…]

Schritt 4: Sich mittelfristige Ziele setzen
[…]

Schritt 5: Sich langfristige Ziele setzen
[…]”, Seiten 141 – 142

Diese Stelle ist, da muss ich den Schwächen vorgreifen, trotz weiterer Erklärungen etwas zu kurz gekommen. Es geht nicht um die Mechaniken in unserem Gehirn, das limbische System und wie wir mit Belohnungen agieren und reagieren. Das Buch wirft dem Leser oder der Leserin vielmehr wertvolles Wissen hin und geht davon aus, dass wir alles schlucken. Es ist, als würde “Raus aus der Glücksfalle” den Anspruch haben, als einziges Buch zum Thema Glück im Regal zu stehen. Und das ist, selbst wenn man keine Ahnung von Zielgruppen hat, sicherlich nicht der Fall.

Unterm Strich ist aber alles aus diesem Buch sinnvoll und wichtig für ein glückliches Leben. Wir müssen Erfolg mit Glück gleichsetzen (ich bin super erfolgreich!), uns annehmen und lieben, gut mit uns umgehen und unsere Ziele an Werten orientieren und Aktionspläne zwar konkret, messbar und zielstrebig, aber auch bodenständig, realistisch und selbstliebend gestalten.

Die größte Stärke an “Raus aus der Glücksfalle” ist also der Inhalt. Für den gibt es volle fünf von fünf Sternen.

 

Schwächen des Buchs:

Abzüge erhält dieses Buch in meiner Rezension durch die Illustrationen. Es tut mir super leid, und auch zu Beginn des Buches gibt es eine Anleitung, wie das Buch zu lesen ist: Idealerweise ergänzend oder vorbereitend bei einer Gesprächstherapie (wie bei mir), als Vor- oder Nachbereitung des nicht bebilderten Buches (ich nenne das gerne die “Vollversion”), oder wenn man sich dieses Büchlein als Nachschlagewerk anschafen möchte.

So oder so muss ich kritisieren, dass durch die Illustrationen und die minimalistischen Texte ein unangenehmes langsames Lesen breit macht. Jemand, der auf Psychopharmaka ist, wird hierbei mehr Konzentrationsprobleme haben als ich. Es ist nicht per se schwer zu lesen, aber ich habe das Gefühl, da steht so viel zwischen den Zeilen, was sich der Leser oder die Leserin erst einmal herleiten und auf das eigene Leben anwenden muss, dass es einfach überfordert. Ein fließender Text mit Überleitungen, konkreten Beispielen, Hintergrundwissen und allem drum und dran würde mir besser gefallen.

Beispiel der Zeichnungen aus Raus aus der Glücksfalle. Foto: Kia Kahawa
Beispiel der Zeichnungen aus Raus aus der Glücksfalle. Foto: Kia Kahawa

Da es sich bei dieser Ausgabe um eine Leihgabe einer Psychotherapeutin handelt, werde ich mir die “Vollversion” definitiv zulegen und lesen.

Einen weiteren Punkt habe ich noch anzuprangern: Alle Übungen soll man sofort beim Lesen machen, aber idealerweise 3 – 5 Mal pro Tag für fünf bis zehn Minuten. Bei der Fülle der Übungen werden die Techniken der ACT zum Vollzeitjob. Das bringt jeden Leser und jede Leserin in Überforderung, ungenügende Ausführung oder Nachlässigkeit.

Vieles kommt zu kurz

Ich habe schon angedeutet, dass Hintergründe, Basiswissen der Neurologie oder konkrete Beispiele und Wirkmechanismen zu kurz oder gar nicht vorkommen.

Das zeigt sich meiner Meinung nach auch bei den Werten. Super löblich, dass es eine Liste von Werten mit kurzen Erklärungen gibt, wenn ich mir als Lesende welche aussuchen soll, nach denen ich in meinen vier Lebensbereichen leben möchte. Aber dass jeder Lebensbereich unterschiedliche Werte hat, wird erst später gesagt, und dann darf ich zurückblättern und mir neue Gedanken machen, ohne dass es eine Übung ist, die mich doch teilweise schon etwas genervt haben.

Werte, die in Raus aus der Glücksfalle ab Seite 137 vorkommen (Auszug aus 40 Werten):

  • Verantwortungsbewusstsein
  • Sinnlichkeit und Lust
  • Kompetenz
  • Sexualität
  • Vertrauen
  • Hilfsbereitschaft
  • Fleiß
  • Nähe
  • Dankbarkeit
  • Versöhnlichkeit
  • Spaß und Humor
  • Ausdauer und Engagement
  • Ordnung
  • Respekt / Selbstachtung

Ich hätte mir gewünscht, dass es auch hir Hintergrund-Infos gibt. Natürlich sind alle Werte auf andere Personen oder auf mich selbst anwendbar, aber ich hätte gerne mehr Grundlagen gehabt. Zum Beispiel, was eigentlich ein Wert ist und wie er sich von Tugenden und Normen abgrenzt. Oder dass es nicht schlimm ist, wenn man beispielsweise “Versöhnlichkeit”, “Hilfsbereitschaft” und “Verantwortungsbewusstsein” als unwichtigen Wert sieht.

Vielleicht hätte dem an dieser Stelle ein Einschub über Persönlichkeitsstrukturen gut getan, oder ein paar beispielhaft konstruierte fiktive Personen mit Werten und entsprechenden Zielen? Ich sehe hier eine Schwäche, die definitiv ausbaufähig ist und das Buch zu einem besseren gemacht hätte.

Mein Fazit zu Raus aus der Glücksfalle:

Raus aus der Glücksfalle ist vielleicht super geeignet für lesefaule Menschen, die sich durch Bilder viel herleiten und schnell alle ihre Gedanken und Erinnerungen griffbereit haben. Oder für solche, die dieses Buch portioniert innerhalb mehrerer Monate mehr studieren als nur lesen, aber zu diesen Personenkreisen gehöre ich nicht.

Es hat bei mir inhaltlich “klick” gemacht, das ist hervorragend, aber mit den Illustrationen hätte man sparsamer umgehen oder sie effizienter und aussagekräftiger platzieren können, sodass ich als Lesende auch mal dazu komme, etwas zu lesen und Hintergründe zu begreifen (wenn es denn Hintergründe gäbe!).

Wer sich mit dem Stil, wiedergegeben auf obenstehendem Foto, anfreunden kann, wird dieses Buch lieben. Allen anderen empfehle ich die “Vollversion”, denn was in diesem Buch steht, ist Gesetz!

Du willst mehr von Kia lesen? Hier kommst du zu all ihren Rezensionen.



Raus aus der Glücksfalle

Rus Harris

Sachbuch
Softcover, 168 Seiten

erschienen beim Kösel-Verlag

31. März 2014

ISBN 978-3-466310074


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