Nanobots und Unsterblichkeit – Menschheit 2.0

Nanobots und Unsterblichkeit – Menschheit 2.0

„Menschheit 2.0 – Die Singularität naht“ von Ray Kurzweil ist ein Sachbuch, das anhand vergangener technologischer Entwicklungen und der exponentiellen Beschleunigung der Weiterentwicklung dieser Technologien einen Blick auf die Zukunft zu werfen versucht. Kurzweil prophezeit grundsätzliche Änderungen der menschlichen Existenz, die Erschaffung starker KI und das Kommen einer Mensch-Maschinen-Zivilisation, die letztendlich das gesamte Universum mit Intelligenz erfüllen wird. Er hat sogar einen Zeitplan. Ja, ich weiß, das ist ganz schön abgedreht.

Das Besondere am Buchensemble ist, dass Autor*innen über Bücher schreiben, und deshalb werde ich die Rezension zu „Menschheit 2.0“ hauptsächlich aus Autorenperspektive verfassen.

 

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Mit der Familie in ein Restaurant gegangen, das keine weiteren Gäste hatte.
  2. Über dieses Buch diskutiert.
  3. Gut gegessen, weil ich mein Gehirn noch immer nicht hochgeladen habe und auf meinen Körper angewiesen bin.

Mein Eindruck zu “Menschheit 2.0”:

„Menschheit 2.0“ ist bereits 2005 erschienen. Die Informationen darin sind also 15 Jahre alt und man kann einige Voraussagen darin längst abhaken, weil sie nicht eingetroffen sind. Dennoch ist es ein faszinierendes Buch. Immer wieder dachte ich, dass es perfekt für Science-Fiction-Autor*innen geeignet ist: Plotbunnys ohne Ende.

Kurzweil schreibt über Nanobots, die den menschlichen Körper verbessern werden, vom Upload menschlicher Gehirne, von der Vermilliardenfachung unserer Intelligenz, also der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Ganz nebenbei beschreibt der Autor, dass und wie er bereits daran arbeitet, unsterblich zu werden (durch Medizin und Gentechnik, dann Nanobots und schließlich Upload). Man könnte meinen (und das tun einige), dass Ray Kurzweil schlicht verrückt ist. Allerdings ist er seit Jahrzehnten an der Front technologischer Entwicklungen dabei: Spracherkennung, Suchmaschinen, künstliche Intelligenz, Nanotechnologie. Er mag irre sein, aber er weiß genau, wovon er redet. Doch weiß er auch, wie die Zukunft aussehen wird?

Stärken des Buchs:

Es ist gruselig und faszinierend, was Ray Kurzweil zukünftig für möglich hält und worüber er 2005 bereits zu berichten weiß. Alle Informationen sind gut aufgearbeitet, soweit ich das sagen kann, und trotz der enormen Komplexität des Stoffes gut lesbar.

Ich lese Sachbücher aus 2 Gründen: 1. Information, 2. Inspiration. Grund 2 ist hier ausschlaggebend. Kurzweils Ideen von der Zukunft sind wild und sie sind optimistisch. Im Grunde geht er davon aus, dass sämtliche Probleme der Menschheit mit Technologie gelöst werden können (und zukünftig wirklich gelöst werden). Nebenbei erwähnt er allerdings auch Horrorszenarien globaler Katastrophen wie eine Epidemie selbstreplizierender Nanobots, die die gesamte Biomasse der Erde innerhalb von 90 Minuten zerstören könnten.

Der Technologie-Optimismus von „Menschheit 2.0“ hatte mich zu Gedanken über Utopien und Dystopien gebracht, während die Gedanken zum Thema Identität und Menschlichkeit – Wenn eine Kopie von mir auf einem Computer glaubt, sie sei ich, während ich noch da bin, ist sie eine Kopie, aber wenn ich in einem langsamen Prozess mich selbst auf den Computer übertrage, ohne dass mein Körper und mein ursprüngliches Ich noch da sind, bin ich das Programm auf dem Computer, oder? – zu Geschichten inspirierten und das gesamte Buch mir Lust machte, mich mal an Science-Fiction zu versuchen.

Oder mit weniger Worten: Das Buch ist inspirierend.

Schwächen des Buchs:

Kurzweil hat sich vertan. Viele Prognosen, die selbstbewusst in „Menschheit 2.0“ angestellt werden, haben sich nicht erfüllt. Beispielsweise müssten wir bereits alle durch Nanobots und Gentechnologie verbessert sein. Ich weiß nicht, wo die von Kurzweil besprochenen Technologien aktuell stehen, aber sie sind jedenfalls noch nicht im Handel.

Leider ist dieses Buch, meine Ausgabe, das heißt die Übersetzung, voller Kommasetzungs- sowie das-dass-Fehler. Interessanterweise gibt es dafür viele Anmerkungen zur Übersetzung, Hinweise auf verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten und sogar Korrekturen von Begriffen, die Kurzweil falsch benutzt. Ich habe das Gefühl, dass es nach einer guten Übersetzung kein richtiges Korrektorat mehr gegeben hat.

Bücher darf und soll man immer kritisch sehen. Ray Kurzweil ist Babyboomer, Kapitalist, Mitarbeiter von Google und war Berater des US-Militärs. Wenn er von der Vorzügen der Nanotechnologie für den Kriegseinsatz spricht oder davon ausgeht, dass die Unterschicht dadurch aufgelöst werden wird, dass man Unterschichtjobs von Maschinen erledigen lässt, oder zu glauben scheint, dass Umweltschäden Überbleibsel der ersten industriellen Revolution sind und nicht ständig weiter verschlimmert werden, merkt man diesen Hintergrund und sollte ihn beim Lesen mitdenken. Außerdem wird einem beim Lesen bewusst: Es könnten reiche, männliche, weiße Babyboomer sein, die als erste wortwörtlich unsterblich werden. Warum? Weil sie es sich leisten können.

Mein Fazit zu Menschheit 2.0 von Ray Kurzweil:

„Menschheit 2.0“ ist ein faszinierendes, komplexes, gruseliges und inspirierendes Sachbuch, das allerdings nicht mehr auf dem neuesten Stand ist und entsprechend häufig falsche Schlüsse zieht. Für Science-Fiction-Autor*innen oder Menschen, die sich mit Kurzweil beschäftigen – „Menschheit 2.0“ gilt als sein Hauptwerk – mit Sicherheit eine Empfehlung, für alle anderen Leser*innen nicht unbedingt: Es gibt aktuellere Werke da draußen (auch von Ray Kurzweil).

Du willst mehr von Matthias lesen? Hier gelangst du zu seinen Rezensionen.



Menschheit 2.0

Ray Kurzweil

Sachbuch
Softcover, 656 Seiten

erschienen bei Lola Books

01. Oktober 2014

ISBN 978-3-944203089

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