Unaussprechlich, aber sehr überzeugend – Liminale Personae [Rezension]

Unaussprechlich, aber sehr überzeugend – Liminale Personae [Rezension]

In einer postzombieapokalyptischen Welt leben die Menschen eingeschlossen in einer Stadt. Regiert und beschützt von den Gesichtslosen und einer unüberwindbaren Mauer. Doch nicht alle sind mit dem eintönigen, streng reglementierten Leben in dieser Stadt zufrieden. Sie wünschen sich mehr. Mehr Freiheit, mehr Individualität und mehr Wahrheit. Einer kleinen Gruppe junger Leute wird nach einer eskalierten Demonstration diese Möglichkeit geboten. Sie dürfen die Stadt verlassen und erhalten die Aussicht unter bestimmten Voraussetzungen zurückkehren zu können. Doch wie kann man mit einer Lüge leben, wenn man die Wahrheit kennt.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Geschmunzelt
  2. über sämtliche Möglichkeiten des Endes nachgedacht
  3. versucht, den Titel knotenfrei über die Zunge zu bringen

Mein Eindruck zu Liminale Personae:

Alessandra Reß schafft mit “Liminale Personae” eine klassiche, dystopische Geschichte, die dennoch kleine Überraschungen bereithält. Ich las das Buch aus Neugierde auf die Autorin und ganz simpel, weil es durch seinen knappen Umfang besticht. Ich ging ohne konkrete Erwartung an den Text heran und wurde mehr als positiv überrascht. Denn der Schreibstil ist nicht nur sehr angenehm zu lesen, sondern schafft es, komplexe und tiefgreifende Gedankengänge unterhaltsam darzustellen.

Stärken des Buchs:

Besonders stark fand ich die unaufgeregte, fast schon distanzierte Ich-Erzählerin, die die Ereignisse um sich herum anfangs noch sehr nüchtern, später zunehmend emotional betrachetet. Die Lesenden erfahren nicht viel über sie, nur, dass sie unzufrieden mit ihrer Lebenssituation ist, ihre Familie liebt und sich bisher eher unpolitisch zeigte. Die Lesenden begleiten die Protagonistin auf ihrem Weg, die Dinge, um die herum zu hinterfragen. Von ihrer schwammig umrissenen Unzufriedenheit gelangt sie zu einer klaren Vorstellung dessen, was sie stört. Gepaart mit der Erkenntnis aus ihrer kurzzeitigen Verbannung wird sie am Ende zu einer komplexen, gut durchdachten Figur. Ein klarer Pluspunkt für die Figurenentwicklung in dem vergleichsweise kurzen Text.

Überzeugendes Setting

Ein nächster Punkt wäre das Setting, das an sich mit bekannten Elementen aufwartet. Eine abgeriegelte Stadt, ein totalitäres Regime, das den Menschen keine individuellen Entwicklungsmöglichkeiten lässt und natürlich alle vor den mehr oder weniger bekannten Gefahren außerhalb der Stadtmauern beschützen will. Ebenso erwartungsgemäß gibt es Menschen, die sich dagegen auflehnen und im Zuge der Handlung mit einigen Wahrheiten konfrontiert werden. Dennoch ist es gelungen, dieses klassische Setting atmosphärisch zu gestalten. Die gesichtslose Obrigkeit und das dahinterstehende System, lässt übersinnliche oder magische Vorgänge erahnen, geht jedoch nicht näher darauf ein. Eine Atmosphäre konstanten Misstrauens liegt über der Handlung und ihren Figuren, sie führt dazu, dass auch Lesende zwar eine Ahnung dessen haben, was vorgeht, aber sich tortzdem nie ganz sicher sind.

Besonders gut hat mir die Welt außerhalb der Stadt gefallen, auf die ich nicht allzu detailliert eingehen möchte, da das ein riesen-mega Spoiler wäre. Soviel sei gesagt: Das Konstrukt außerhalb der Stadt verwirrt, macht wütend, überrascht und unterhält die Lesenden ungemein.

Kosequent bis zum Schluss

Das Ende hat mich schließlich vollends für die Geschichte begeistert. Die Autorin führt ihre Protagonistin zu einem Entschluss, der gemessen an der Handlung absolut konsequent ist und sich nahtlos in mein Menschenbild fügt. Auch wenn mich das Ende entfernt an Geschichten von Philip K. Dick erinnerte, so beinhaltete es dennoch einen kleinen Wehmutstropfen, auf den ich im Folgenden Punkt eingehe.

 

Liminae Personae als E-Book, Foto: Wiebke Tillenburg
Liminale Personae als E-Book, Foto: Wiebke Tillenburg

Schwächen des Buchs:

Für mich gab es nur eine wirklich nennenswerte Schwäche und das war die blässe der Figuren. Teilweise konnte ich mich besser in die Nebenfiguren hineinversetzen als in die Protagonistin. Das lag nicht daran, dass sie mir nicht allzu sympathisch war, so etwas würde mich nicht stören. Ich konnte ihre Handlungen nicht immer ganz nachvollziehen. Sie wirkte auf mich zunächst wie ein Fähnlein im Winde, das zufällig in eine belastende Situation geraten war und die Konsequenzen dafür tragen musste. Doch beruft sie sich immer wieder auf ihre Familie. Nur wissen wir gar nichts darüber, warum sie diese überhaupt vermisst. Ihre Gedanken drehen sich nur um den nicht weiter umrissenen Begriff der Familie. Keine konkreten Erinnerungen oder vielleicht geliebte Gewohnheiten, die sie vermisst. Letztlich ist die Familie das Argument zurück in die Stadt zu gehen. Dieses Argument fällt auf Grund der wenigen Bezüge sehr schwach aus. Es wäre glaubwürdig, wenn die Protagonistin als Fähnlein im Winde zurück auf die sichere Basis will. Nur ist ihr Auftreten und Handeln am Ende der Geschichte dermaßen stark, dass das nicht mehr zusammenpasst.

Mein Fazit zu Liminale Personae:

Liminale Personae* von Alessandra Ress ist nach Überwindung des kleinen Zungenbrechers ein unterhaltsames, spannendes Werk, das die Leser*innen dazu zwingt, sich mit Gedanken über das Wesen des Menschen auseinanderzusetzen. Wie viel Fremdbestimmung können Menschen ertragen? Wie lange auf Freiheit verzichten? Und was geschieht, wenn einer die Wahrheit kennt und sich trotzdem fügen muss? Das kurze Format und der angenehme Schreibstil laden zum Lesen ein und machen die Lektüre leicht, trotz des schweren Themas. Eine absolute Leseempfehlung!

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Liminale Personae

Alessandra Ress

Dystopie Horror Jugendbuch
Softcover, 114 Seiten

erschienen bei Amrûn

25. Mai 2016

ISBN 978-3-958692015

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