Wovor sich Väter fürchten – Angst

Wovor sich Väter fürchten – Angst

„Angst“ ist eine Sammlung von fünf Erzählungen, die sich allesamt um Ängste drehen. Die meisten Angstgeschichten stehen im Zusammenhang mit Familie und Kindern.

Das Genre ist Psychohorror.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Hunderunde.
  2. Ein mittelmäßiges Mittagessen zubereitet
  3. und verzehrt.

Mein Eindruck zu “Angst”:

Ben Kohler schreibt im Vorwort, dass die Geschichten in „Angst“ aus seinen eigenen Ängsten entsprungen sind, und dass diese Ängste eng verknüpft sind mit seiner Familie, seinen Kindern und seiner Rolle als Vater. Das spürt man ab der zweiten Geschichte durchgängig. Irgendwie eine ungewöhnliche Nische: Horror, der mit den Ängsten von Eltern spielt.

Stärken des Buchs:

Diesmal arbeiten wir mal von außen nach innen. Ich habe ein Hardcover-Exemplar (2. Auflage) zur Verfügung gestellt bekommen und mag es sehr. Die Qualität ist gut, das Cover passt zur Stimmung des Buches, man hat sich offenbar Mühe gegeben. Auch der Buchsatz ist wieder gelungen, wie eigentlich immer, wenn sich Karl-Heinz Zimmer darum kümmert.

Alle Erzählungen in „Angst“ sind überraschend. Sie sind nicht unbedingt einzigartig kreativ, aber ich habe an den Anfängen der Geschichten nie mit den Enden gerechnet.

Positiv zu verzeichnen ist außerdem, dass es Inhaltswarnungen am Ende des Buches gibt, auf die am Anfang hingewiesen wird. Die Warnungen hätte ich mir gelegentlich ausführlicher gewünscht, aber dass es überhaupt welche gibt, ist immer ein Pluspunkt. Vielleicht hätte man aber noch im Klappentext oder woanders deutlich machen sollen, dass dermaßen häufig Kinder im Fokus stehen.

Was für mich immer eine Stärke und ein interessanter Punkt an Büchern ist, ist die darin stattfindende Verarbeitung des Innenlebens der Autor*innen. Ben Kohler sagt selbst, dass er eigene Ängste verarbeitet. Damit schafft er bereits zusätzliche Spannung, weil man unwillkürlich den Autor hinter den Geschichten und durch sie hindurch zu erkennen versucht.

Im Weiteren gehe ich alle Geschichten einzeln durch.

(nicht nur) Schwächen des Buchs:

Das Buch beginnt mit der Geschichte „Polaroid“. Ich komme mit dem Erzählstil der Geschichte nicht zurecht. Wie die meisten anderen Geschichten in „Angst“ ist „Polaroid“ aus allwissender Sicht geschrieben, die immer wieder näher an den Protagonisten heranrückt. Dagegen spricht nichts. Allerdings liest sich die Erzählung in manchen Parts, als sollte man Filmszenen vor Augen haben, dafür aber fehlen die Beschreibungen, und an anderen Stellen soll eine Art Innensicht ausgedrückt werden, aber eben ohne Innensicht. Das Ergebnis ist, dass man weder eine filmartige Szene von außen betrachtet, noch die Innenwelt des Protagonisten erlebt, und stattdessen in einem halbgaren Mix stecken bleibt. Das Ende empfand ich als überraschend, um nicht zu sagen irritierend.

In „Sarah“ fielen mir einige Punkte auf, die sich danach durchziehen. Beispielsweise setzt Ben Kohler gerne drei Punkte, um Pausen anzudeuten oder (vermeintlich) Spannung zu erzeugen. Das kann man mit anderen Mitteln besser machen. Ein paar Klischees aus verschiedenen Bereichen tauchen auf, wenn z.B. Menschen gemeinsam weinen wie zwei beste Freundinnen beim Titanic-Schauen (was lustigerweise sofort das ungefähre Alter des Autors verrät) oder einfach Klischees des Genres. Es gibt Parts, die ich stilistisch befremdlich finde. Auch hätte man die Geschichte schlanker und spannender schreiben können, indem man einige überflüssige Informationen weggelassen hätte. Das gilt für fast alle Geschichten im Buch. Allerdings mag ich Literatur grundsätzlich lieber kurz und präzise. Die Darstellung von „Panikattacken“ scheint mir fern von echten Panikattacken zu sein. Da genrebedingt mehrmals psychische Krankheiten im Buch auftauchen, hätte man an diesen Stellen mehr Sorgfalt walten lassen sollen. Eindeutig positiv zu vermerken ist, dass ich mich zwischendurch gegruselt habe. Das Ende ruiniert dann die vorher herrlich aufgebaute Unsicherheit, ob die Geschehnisse nun übernatürlicher oder psychischer Natur waren. Schade.

„Todesangst“ enthält einige stilistische Stolpersteine. Es geht in der Geschichte um die kleine Marie und ihre Mutter (oder umgekehrt). Insgesamt konnte ich „Todesangst“ nur mit großem Unbehagen lesen, weil die Geschichte sehr viel menschliches Elend präsentiert. Damit hatte ich in diesem Buch nicht gerechnet. Die Inhaltswarnung hätte präziser sein sollen. [Achtung: Spoiler!] Denn „Kindsentführung, Mord“ hat mich nicht darauf vorbereitet, dass ein kleines Kind mit heruntergelassener Hose von einem fremden Mann verschleppt wird, und noch weniger, dass das Kind mit Zigaretten verbrannt wird.

In „Versteckt“ kommt endlich mal die Ich-Perspektive hervor, dann aber leider bei einem Sturztrunkenen, der sich erstaunlich gut artikuliert. Hätte man anders machen können, aber naja. Die Dialoge in dieser Geschichte sind leider in dieser unnatürlichen Weise aufgebaut, dass z.B. Person A sagt: „… nehme ich an“ und Person B beginnt mit „Nimmst du an?“, sie also immer das vorher Gesagte wiederholen. So verschwendet man Papier und lässt den Dialog hölzern wirken. Es gäbe noch etliche Kleinigkeiten, die mich hier stören, aber auch eine interessante Beobachtung. Auf einer gewissen Ebene ist „Versteckt“ seltsam christlich angehaucht. Immer wieder taucht Gott im Dialog auf oder wird durch die Erzählinstanz eingebracht, der Bösewicht soll „Gott ist böse“ gesagt haben und generell geht es um eine Person, die in einem Keller sitzt, nie den Himmel gesehen hat, und erst zur Wahrheit geführt werden muss. Das finde ich interessant, etwas weird und etwas unangenehm, und ich glaube nicht, dass es Absicht ist. Ich würde liebend gern tiefer in diese Interpretation einsteigen, würde damit aber die ganze Geschichte spoilern und hier jeden Rahmen sprengen. Das Ende von „Versteckt“ ist wieder eine Schippe zu viel, ein Augenroll-Moment. Und ich hätte mir ausführlichere Inhaltswarnungen gewünscht.

Die letzte Geschichte in „Angst“ heißt „Dämonen“ und dreht sich um einen Schriftsteller, der durchdreht. Ehrlich gesagt, ich habe mich gelangweilt. Die Auflösung ist wenig interessant, aber immerhin unerwartet. Insgesamt liest sich „Dämonen“ wie eine lahme Version von „Shining“. Es finden sich außerdem ein paar für die Story völlig überflüssige Parts, die man besser hätte reflektieren sollen.

Man sieht, hier gibt es ein paar Bröckchen zu verdauen, und ahnt vielleicht, dass ich noch viele Punkte weggelassen habe. Allgemeiner gesprochen kann ich sagen, dass ich mich trotz Genre nur ein einziges Mal gegruselt habe und auch sonst wenig angenehme Spannung finden konnte.

Mein Fazit zu “Angst”:

Ben Kohler scheint viel Ahnung von Marketing zu haben, aber auf literarischer Ebene kann er noch einiges lernen. Ich habe nur wenig Großes an seinem Buch auszusetzen, aber habe dafür viele kleine Kritikpunkte gefunden. Die größte Schwäche von „Angst“ ist wohl, dass keine der Geschichten wirklich packend ist. Üblicherweise lese ich Horror nicht, weil ich zu empfindlich bin, und daher ist dieser große Minuspunkt umso erstaunlicher. Die für mich spannendsten Aspekte von „Angst“ scheinen nicht absichtlich ins Buch geraten zu sein.

Auch wenn die „Schwächen“-Sektion es vermuten lässt, ist das Buch auch nicht total mies. Es ist qualitativ irgendwo in der Mitte anzusiedeln, und das drücke ich dann auch mit der Bewertung aus.

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Angst

Ben Kohler

Horror
Softcover, 124 Seiten

erschienen bei Neopubli GmbH

14. Juni 2021

ISBN 978-3-754132906

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